EGMR: Leibliche Mutter hat kein Recht auf Umgang mit zur Adoption freigegebenen Kindern


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Der EGMR hat in seinem am 5.6.2014 ergangenen Urteil entschieden, dass es nicht gegen Art. 8 EMRK (Recht auf Privat- und Familienleben) verstößt, wenn einer leiblichen Mutter, die ihre Kinder zur Adoption freigegeben und der Adoption zugestimmt hat, ein Recht auf Umgang mit den Kindern verwehrt wird.

Sachverhalt:

Die verheiratete Antragstellerin bekam im April 2000 Zwillingstöchter, die in einer außerehelichen Beziehung gezeugt worden waren. Sowohl der Ehemann der Antragstellerin, als auch der leibliche Vater der Zwillinge hatten bereits vor Geburt der Kinder auf die Antragstellerin Druck ausgeübt die Kinder abzutreiben. Der Ehemann war aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen und hatte auch mit Kontaktabbruch zu den beiden mit der Antragstellerin gemeinsamen Kindern gedroht. Die Antragstellerin litt seit den Fehlgeburten an psychischen Problemen (Angstzustände, Suizidabsichten…) und war generell mit der Situation überfordert.

Das von der Antragstellerin eingeschaltete Jugendamt legte der Antragstellerin eine Adoption nahe. Im Frühjahr wurde die Adoption rechtswirksam vollzogen, eine Zustimmung des leiblichen Vaters unterblieb, da dessen Identität durch die Mutter nicht mitgeteilt wurde. Zwischen der Antragstellerin und den Adoptiveltern wurde vereinbart, dass der Antragstellerin in regelmäßigen Abständen Fotos und ein Kurzer Entwicklungsbericht über das Jugendamt übermittelt werden sollte. Unklar und umstritten ist zwischen den Parteien, ob diese Vereinbarung auch ein regelmäßiges Umgangsrecht beinhaltet hatte.

Im Jahre 2002 machte die Antragstellerin die Unwirksamkeit der Adoption geltend. Erstens habe der leibliche Vater der Kinder nicht zugestimmt, zweitens sei ihre eigene Zustimmung unwirksam, da sie zu der Zeit ihrer Zustimmung an einer psychischen Störung gelitten habe, die eine freie Willensentschließung unmöglich gemacht hätte. Der bestellte Ergänzungspfleger der Kinder brachte dagegen vor, dass eine Umkehrung der Adoption und Rückführung der Kinder dem Kindeswohl abträglich sei, da die Kinder seit der Adoption durchgehend bei den Adoptiveltern gelebt hätten und in der Familie integriert seien. Die Antragstellerin änderte ihren Antrag daraufhin dahingehend ab, dass sie lediglich die rechtliche Elternschaft ohne elterliches Sorgerecht begehre, um ein Umgangsrecht mit den Kindern zu erhalten. 2003 lehnte das zuständige Gericht den Antrag ab, ein gerichtlich beauftragter Gutachter hatte festgestellt, dass im Zeitpunkt der Zustimmung zur Adoption zwar eine psychisch extrem belastende Situation auf Seiten der Antragstellerin vorgelegen habe, eine freie Willensentschließung aber nicht ausgeschlossen gewesen sei. Darüber hinaus könne, so das Gericht, die Antragstellerin die fehlende Zustimmung des biologischen Vaters mangels eigenen Rechtsschutzbedürfnisses nicht geltend machen.

In einem parallel geführten, umgangsrechtlichen Verfahren wurde der Antrag der leiblichen Mutter der Kinder ebenfalls abgewiesen, da sie keine rechtliche Elternstellung mehr innehabe. Rechtsmittel der Antragstellerin blieben erfolglos.

Entscheidung des EGMR:

Der ebenfalls von der Antragstellerin in Bezug auf das Umgangsrechts befasste EGMR verneinte nun in seinem Urteil vom 5.6.2014 eine Verletzung des Art. 8 EMRK. Zwar schütze Art. 8 EMRK das Privat- und Familienleben, wozu auch das Umgangsrecht zähle. Auch sei der Schutzbereich des Art. 8 grundsätzlich eröffnet. Auch, wenn der Schutz des Art. 8 (Familienleben) ende, wenn eine Mutter in die Adoption einwillige, da dann das rechtliche Band zwischen Mutter und Kind durchtrennt werde. Die schlicht bestehende biologische Verwandtschaft reiche nach der Rechtsprechung des EGMR ohne bestehende sozial-familiäre Beziehung allerdings nicht aus, um ein Familienleben i.S.d. Art. 8 EMRK zu begründen. Dennoch falle das Anliegen der Mutter unter Art. 8 EMRK, da das Umgangsrecht auch eine besondere Frage des Persönlichkeitsrechts darstelle und somit unter den Schutz des Privatlebens falle.

Zwar beschränkten das deutsche Recht und die darauf beruhenden Gerichtsurteile das Recht der Antragstellering auf Schutz des Privatlebens, da sie im gegebenen gesetzlichen Rahmen der Antragstellerin als biologischer Mutter weder ein Umgangsrecht noch ein Recht auf Informationen einräumten. Dies geschehe allerdings mit dem Ziel,das adoptierte Kind und seine Integration in der Adoptivfamilie zu schützen. Das Kindeswohl sei zweifellos als legitimes Ziel anzuerkennen. Im konkreten Fall gehe der Schutz des Kindes dem Interesse der Antragstellerin vor. Diese sei im Zeitpunkt der Zustimmung zur Adoption auch über weniger einschneidende Möglichkeiten (Pflegeelternschaft), die ein Umgangsrecht weiterhin ermöglichten informiert gewesen. Ferner habe auch die Möglichkeit bestanden, im Adoptionsverfahren eine halb-offene Adoption (mit der erweiterten Kontaktmöglichkeiten) durchzuführen, was zumindest nicht nachweislich angestrebt worden sei. Die deutschen Gerichte hätten daher Art. 8 EMRK nicht verletzt.

Bewertung:

Die Entscheidung des EGMR ist zu befürworten, da sie im Sinne des Kindeswohls ergangen ist. Der EGMR bewegt sich in der bekannten Dogmatik zu Art. 8 EMRK und wägt die Interessen der leiblichen Mutter mit den Interessen der Kinder gegeneinander ab. Dem nationalen Gesetzgeber wird auch weiterhin der Beurteilungsspielraum bei der Ausgestaltung seines Rechts belassen. Im Ergebnis überwiegt bei der Rechtsanwendung nach der Wertung der deutschen Gerichte im konkreten Fall das Kindeswohl, der EGMR stützt diese Wertung. Dieser Einschätzung ist zuzustimmen, das Interesse der Kinder sollte hier im Zentrum stehen, denn sie sind die einzigen, die an der ganzen Situation den geringsten Gestaltungsanteil haben und auch die geringste Gestaltungsmöglichkeiten haben. Eine Auseinandersetzung mit dem Elternrecht der Adoptiveltern (dieses wird gar nicht angesprochen), wäre allerdings wünschenswert gewesen.

Die Entscheidung bedeutet für die leibliche Mutter sicherlich eine immense Härte. Der Fall zeigt deutlich, wie brisant und bedeutend abstammungsrechtliche Fragen sind. Der Schritt zur Adoptionsfreigabe sollte wohl überlegt sein, da die Folgen sehr weitreichend sind, sowohl für Eltern als auch für Kinder.


Weitere Stimmen zu der Entscheidung finden sich im Kuckucksvaterblog.

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4 Antworten zu “EGMR: Leibliche Mutter hat kein Recht auf Umgang mit zur Adoption freigegebenen Kindern”

  1. Werter Herr Dr. Reuß,

    da ich selbst Adoptivmutter im Rahmen einer offenen Adoption bin, habe ich dieses Urteil des EGMRs mit großem Interesse gelesen und auch wenn mir das Urteil selbst als Laie (leider) durchaus nachvollziehbar ist, sehe ich darin mit Sicherheit keinen Fokus auf die Interessen der Kinder bzw. das Kindswohl.

    Die leibliche Mutter hatte ursprünglich eine halboffene Adoption mit den Adoptiveltern vereinbart, was – so entnehme ich es den veröffentlichten Unterlagen zum Fall – sogar nachweisbar ist. Das deutsche Recht sieht allerdings keine Vereinbarungen zum Kontakt vor, so dass es im Ermessen der Adoptiveltern ist, ob sie sich an diese Vereinbarung halten oder nicht. Dieser Umstand wird u.a. in der abweichenden Meinung zweier Richter noch einmal sehr deutlich.

    Für mich stellt sich allerdings die Frage, warum es im Interesse oder zum Wohle der Kinder ist (so wie sie es in ihrer Bewertung hervorheben), wenn ihnen der Kontakt zu ihrer (in diesem Fall) leiblichen Mutter verwehrt wird? Es gibt in der Zwischenzeit eine Vielzahl an Beispielen (und auch vereinzelt Studien), die zeigen, dass Kontakt zwischen Adoptivkindern und ihren leiblichen Eltern im Rahmen von offenen Adoptionsformen für die Kinder und später (jungen) Erwachsenen sogar sehr förderlich ist besonders im Hinblick auf deren Identitätsentwicklung.

    Aus meiner Perspektive stärkt das Urteil ausschließlich das Elternrecht der Adoptiveltern, wobei ich ihnen zustimme, dass gerade an dieser Stelle einer stärkere Auseinandersetzung wünschenswert gewesen wäre.

    Beste Grüße!

    • Hallo Frau B.,

      haben Sie vielen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar. Ich lese das Urteil allerdings anders, siehe

      S. 3f:

      „On 25 November 2000 an oral agreement was reached between the prospective adoptive parents and the applicant at a meeting at Stormarn District Social Services in the presence of a staff member. It was considered that the adoptive parents would send a short report together with photographs of the children to the applicant once a year through the Bielefeld Youth Office. Whether this agreement laid down any rules regarding regular meetings between the children and the applicant is disputed.

      sowie S. 4:

      On 21 June 2001 the guardianship division of the Reinbek District Court (proceedings no. 2 XVI 1/01) held a hearing with the prospective adoptive parents in the presence of the twins. The record of the hearing reads:
      “It was debated how the children have been getting on in the family. Particular attention was paid to addressing anxieties resulting from the fact that the natural mother is obviously having enormous difficulties coping on a psychological level with the fact that she has given away her children. There are signs, given that a half-open adoption was agreed on, which lead to the conclusion that the mother seeks contact with the twins. However, the arrangement involving the staff of the Youth Office and the natural mother remains valid, namely, that photographs of the children are to be sent annually to the natural mother. The children will also be told early on that they were adopted.”

      Aus diesen Passagen lese ich heraus, dass die Beteiligten sich nachweislich darüber geeinigt haben, dass der leiblichen Mutter einseitig durch die Adoptiveltern regelmäßig Berichte und Fotos über die Entwicklung der Zwillinge zugesandt werden sollten. Unklar und auch nicht nachweisbar ist allerdings („disputed“), ob die Beteiligten auch regelmäßige Treffen vereinbart hatten. Auch die deutschen Instanzgerichte gehen nicht von einer feststehenden Vereinbarung eines solchen Rechts auf Umgang aus. Sie sprechen lediglich davon, dass Anzeichen für den Abschluss einer offenen Adoptionsvereinbarung vorliegen, nicht wird hier allerdings mit Sicherheit vom Bestehen einer solchen ausgegangen („Signs“). Damit haben die Gerichte folgende Fakten zu werten gehabt: Ein Gutachter, der die psychische Labilität der leiblichen Mutter bestätigt hat, der EGMR spricht von suizidalen Absichten(!). Eine nachweisliche Vereinbarung über die Zusendung von Fotos und Berichten (einseitig durch die Adoptiveltern). Unklarheit darüber, ob die Adoptiveltern sich mit der leiblichen Mutter auf regelmäßige Treffen geeinigt hatten. Angesichts dieser Faktenlage erscheint es mir nicht sehr sinnvoll aus Gründen des Kindeswohls für ein Umgangsrecht der leiblichen Mutter mit den Kindern zu votieren, wie diese es beantragt hatte.

      Wie man mit der Möglichkeit offener Adoptionen rechtspolitisch umgehen sollte, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Ich stimme Ihnen darin zu, dass ein offener Umgang mit den Abstammungsverhältnissen und der Adoption sehr sinnvoll ist. Das deutsche Recht zeigt diese Wichtigkeit mitunter in § 1598a BGB, indem es Vater, Mutter und Kind einen Anspruch auf Einwilligung in die genetische Abstammungsuntersuchung und Duldung der Entnahme einer genetischen Probe gewährt (statusneutral!). Die Kenntnis der eigenen Abstammung ist für die Persönlichkeitsentwicklung immens wichtig. Besonders für die Adoption trifft es mE zu, dass ein offener Umgang mit der Tatsache, dass das Kind adoptiert ist und wer die biologischen Eltern des Kindes sind, sich sehr förderlich auswirken kann. Es hat daher durchaus seine Berechtigung über die Frage der Schaffung von Regelungen die eine offene Adoption erlauben, nachzudenken. Von der Frage der Kenntnis der Abstammung ist die Frage des Rechts auf Umgang zu trennen. Hier kann sicherlich nicht pauschal entschieden werden. Ist ein Umgang des Adoptivkindes mit seinem leiblichen Elternteil dem Kindeswohl dienlich, sollte dieser Umgang auch gestattet werden. Die Frage ist, wer darüber entscheiden sollte. Ich habe mir bezüglich dieser Frage noch keine abschließende Meinung gebildet. Soll man die Entscheidung den Adoptiveltern überlassen, die auch sonst Träger der elterlichen Sorge sind und somit Tag für Tag für das Kindeswohl sorgen oder sollte der Staat intervenieren? Gegen die staatliche Intervention spricht einerseits, dass der Eingriff in die Rechte der Beteiligten, d.h. in das Elternrecht der Adoptiveltern größer ist, als bei einer den Beteiligten belassenen Entscheidung, ob Umgang gewährt werden soll. Allerdings sind auch Fälle vorstellbar, in denen ein Umgang für das Kind gut ist, die Adoptiveltern aber aus zweckfremden Gründen einem Umgang nicht zustimmen. Hier könnte eine gerichtliche Durchsetzung eines Umgangsrechts in Betracht kommen.

      Beste Grüße

      Philipp Reuß

  2. Hallo Herr Dr. Reuß,

    es freut mich, dass sie sich die Zeit genommen haben und so ausführlich auf mein Kommentar eingegangen sind. Ich lese das Urteil tatsächlich anders als sie. Die von ihnen dargestellte Sichtweise macht ihre Bewertung, warum sie das Urteil im Interesse der Kinder sehen, allerdings nachvollziehbar, auch wenn ich dies so nicht aus dem Urteil entnehme!

    Ich habe z.B. nicht den Eindruck, dass es für das EGMR einen Unterschied gemacht hat, welche Art des Kontakts tatsächlich zwischen Adoptiveltern, leiblicher Mutter und Jugendamt vereinbart wurde. Das EGMR bezieht sich auf die Erklärung beim Notar und diese sieht Vereinbarungen zum Kontakt in keiner Weise vor.

    Das Argument der psychischen Labilität der leiblichen Mutter finde ich in der Urteilsbegründung nicht wieder. Zumal gerade das angesprochene Gutachten sich auf einen anderen Zeitpunkt und Sachverhalt bezieht und die angeführte Labilität in dieser Form nicht bestätigt: „He [der Gutachter] diagnosed a certain weakness in the applicant’s personality and a dependency on male authority. However, he could not diagnose any past or present psychotic illnesses and therefore concluded that although she had been suffering from a deep inner conflict at the time of consenting to the adoption, the applicant had been legally capable of making a decision on her own.” (§27) Die erwähnte Labilität mit suizidalen Tendenzen fällt in einen früheren Zeitraum, in dem sich die Mutter in Behandlung befand, was aber auch mit Blick auf die Gesamtsituation zu diesem Zeitpunkt nicht ungewöhnlich ist. Es erschließt sich für mich entsprechend nicht, ob die Mutter zum Zeitpunkt des Urteils tatsächlich (noch?) derartig psychisch labil war.

    Stattdessen wird z.B. angebracht, dass Kontakt (im Sinne von Umgang) zu einer Verwirrung der Kinder durch das Vorhandensein von zwei Müttern oder zur Störung des Eltern-Kind-Verhältnisses bzw. des Familienlebens in der Adoptivfamilie usw. führe. Dies wird jedoch nicht durch die aktuellen Erkenntnissen der Adoptionsforschung, wie sie z.B. in den USA bereits vorliegen und im Moment in Australien in einer großangelegten Studie weiter erforscht werden, unterstützt. Wobei im konkreten Fall auch das – aufgrund der gesamten Vorfälle – vermutlich auch gespannte Verhältnis zwischen Adoptiveltern und leiblicher Mutter nicht unberücksichtigt bleiben sollte, was mit Sicherheit einen erheblichen (in dem Fall wohl eher negativen) Einfluss auf das Erleben der Kinder eines direkten Kontakts hätte.

    Ihre weiterführenden Ausführungen finde ich sehr interessant, denn sie sprechen genau die Fragen an, die auch mich aus meinem eigenen fachlichen und persönlichen Hintergrund heraus im Hinblick auf eine rechtliche Verankerung offener Adoptionsformen sehr beschäftigen. Ich würde jedoch einen Aspekt hinzufügen, der ebenso zu berücksichtigen ist, nämlich Fälle, in denen die leiblichen Eltern aus welchen Gründen auch immer den Kontakt ablehnen. Unsere Adoption war zu Beginn ein solcher Fall und ich kenne viele Adoptiveltern, die im Interesse der Kindern gern Kontakt (welcher Art auch immer) hätten, dieser aber von den leiblichen Eltern nicht gewünscht wird.

    Beste Grüße,
    Claudia B.

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